Maria Goos foto Janita Sassen

Alte Freunde

(Alte Freunde heißt in den Niederlanden CLOACA)
→ Während sie an Cloaca schrieb, führte Maria Goos Tagebuch.
Mehrtheater.de, Dezember 2010

TV-Kommissar verfeinert mutige Inszenierung

Von Christian Gertz


Natürlich hat die Qualität eines Stückes oder deren Darbietung nichts mit der Bekanntheit eines Darstellers zu tun. Doch die Tatsache, dass ein TV-Star, der neben seinen Verpflichtungen als Fernseh-Kommissar mit Erfolgen von bis zu 8 Millionen Zuschauern pro TV-Auftritt Zeit findet, auf die Anfrage eines befreundeten Intendanten zu antworten, um ihm den Wunsch für ein kurzes Gastspiel in seinem kleinen aber feinen Privattheater in Münster zu erfüllen, soll an dieser Stelle die besondere Atmosphäre verdeutlichen, die diesen Theaterabend am vorletzten verschneiten Dezembersamstag mit einer besonderen Note versüßte.
Über 100 Mal hat Theater-, Film- und Fernsehschauspieler Boris Aljinovic, vielen bekannt durch seine TV-Rolle als Berliner Tatort-Kommissar Felix Stark, in der Produktion des Renaissance-Theaters Berlin in Zusammenarbeit mit den Hamburger Kammerspielen den kokainsüchtigen Anwalt Tom in "Alte Freunde" gegeben. In Hamburg und Berlin standen ihm dabei so namhafte Bühnen-Kollegen wie Rufus Beck und Hans-Werner Meyer zur Seite. Zusammen bildeten sie ein bestens aufeinander eingespieltes Ensemble, das mit den Darbietungen stets ein schauspielerisches wie komödiantisches Glanzlicht in die Spielpläne der jeweiligen Häuser zauberte.
Wer "Alte Freunde" der niederländischen Theater- und Drehbuchautorin Maria Goos je an anderen Häusern gesehen hat, kennt den boulevardesken, ja fast revuehaften Grundakkord des Stücks in Dur, mit dem die Autorin die Lebensentwürfe von vier Männern Mitte/Ende vierzig dekonstruiert. Vier Freunden aus alten Studienzeiten, mittlerweile in unterschiedlichen Berufen tätig, hält Maria Goos einen Spiegel der männlichen Eitelkeit, Größenwahn und Lebenslügen vor. Goos schrieb das Stück Ende der 90er, in einem Jahrzehnt also, als der Wunsch nach Erfolg und materieller Sicherheit vielfach zu falschem Ehrgeiz, männlichem Selbstbetrug und emotionaler Hilflosigkeit führte und - wie wir heute wissen - im sog. "Platzen der Dot.com-Blase" und letztendlich im Zusammenbruch der Finanzmärkte kulminierte.
Die vier Archetypen sind an dieser Bühne, in der Reihenfolge ihres Auftretens, Pieter, der kunstinteressierte, schwule Feingeist (herausragend verkörpert von Heiko Grosche, in seiner besten Rolle dieser Spielzeit am WBT), der eine vermeintliche Schenkung seines Arbeitgebers zurückgeben muss; wertvolle Gemälde, die er jahrelang aus dem Stadtarchiv entwendet hatte. Nach vielen Jahren steht plötzlich sein ältester Freund Joep (dynamisch selbstgerecht: Bernd Reheuser) - ein Politiker auf der Karriereleiter -, der mit der Partei und der Öffentlichkeit verheiratet ist, in seiner Wohnung (wieder einmal herausragend ausgestattet von Bühnenbildnerin Elke König) und bittet seinen Freund um Asyl, samt Plastiktüte und Ehekrise.
TV-Star Boris Aljinovic setzt seine Traumrolle des kokainsüchtigen Anwalts Tom nach den zahlreichen Auftritten in Hamburg und Berlin nahezu 1:1 auch in Münster souverän um und brilliert einmal mehr als Speedy-Gonzales der Egozentrik. Eine Paraderolle für den TV-erprobten, sonst eher zurückhaltenden gebürtigen Charlottenburger. Das Quartett wird wenig später von Peter Tabatt in der Rolle des unbequemen und kreativen Theaterregisseurs Maarten komplettiert. In der Wohnung des sichtlich überraschten Pieter finden die “alten Freunde“ nach vielen Jahren wieder zusammen und wollen sich bei Ihren Problemen gegenseitig unter die Arme greifen. Doch mit dem Zusammentreffen nimmt das männliche Drama erst richtig Fahrt auf. Egoismus, Eitelkeit und Angst um das eigene Ich, zeichnen das Bild von falscher Freundschaft und Chaos in jeder fortlaufenden Minute des Stückes.
Dass Intendant und Regisseur Meinhard Zanger sein Ensemble liebt und aus diesem Grund auch stets ein richtiges Händchen für die Besetzung seiner Rollen hat, zeigt er nicht zuletzt in der Auswahl der einzigen Frauenrolle des Stücks. Sabrina vor der Sielhorst brilliert als russische Prostituierte, deren Striptease den Politiker Joep an seinem Geburtstag von allen Problemen ablenken soll. Zanger streut auch hier einmal mehr, trotz des stets revuehaften Charakters des Stücks, eine gehörige Portion Melancholie in seine Inszenierung, in dem er beispielsweise vor der Sielhorst einen langen Monolog auf russisch vortragen lässt, mit dem die Probleme der männlichen Protagonisten in dieser Szene zur Randnotiz degradiert werden. Der Regisseur weiß, was er seinem Ensemble zumuten kann, auch wenn seine Darstellerin dafür einen Monolog auf Russisch aufsagen oder einen Strip bis zur Nacktheit aufführen muss.
Spätestens mit dieser Szene erhält die Komödie ihre tragische Note - von heiteren Dur zu tragischen Moll-Klängen. Und man spürt im vierten und letzten Akt, wie schwer sich die niederländische Autorin Maria Goos, die bist dato kaum ein Klischee ausließ, damit tut, den Bogen ihrer "Dramödie" wieder zu schließen. Hatte sie mit witzigen und kritischen Dialogen die zahlreiche Abgründe aus dem sozialen und beruflichen Umfeld ihrer Alpha-Rüden bloßgestellt, lässt sie das Ende offen und viel schlimmer, vor dem Vorhang fällt auch noch ein Schuss.
Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch haben die begeisterten Premierengäste ein brillant aufspielendes Ensemble genießen können, das sich unter der Mitwirkung eines bekannten TV-Stars zu neuen Höchstleistungen antrieb und von einer wieder einmal hervorragenden Schauspielführung des Regisseurs und Intendanten profitiert. Im Gegensatz zu den Inszenierungen in Hamburg bzw. Berlin hob Regisseur Zanger in seinem "Cloaca" die Dramatik des Schlussakkords hervor und gab seiner Inszenierung eine gehörige Portion Melancholie mit auf die revuehafte Reise, was dem etwas angegrauten Stück sichtlich gut tut. So rudern diese vier Freunde samt mutigem Steuermann und atemberaubender Homogenität mit voller Fahrt 2010 in die Annalen des Wolfgang Borchert Theaters. Ein Highlight der Spielzeit, ein perfekter Jahresabschluss und unbedingt sehenswert.
Klenkesultimo, 20.12.-23.01.2010

Scheitern mit Vergnügen


Von Hanne Meis


Sabrina vor der Sielhorst hat die wohl schwierigste und zärtlichste Rolle im Stück. Als russische Hure legt sie einen atemberaubenden Strip hin, hört sich geduldig das Gejammer ihres Kunden Joep an, spendet schließlich mütterlichen Trost und singt betörend schön. Danach lässt sie der Eitelkeit so betont gelangweilt die Hosen runter, dass man die ganze Szene glatt noch einmal sehen möchte. Hier zeigt sich behauptete Männlichkeit in ihrer ganzen Hilflosigkeit. Dabei hatte alles mal voller Idealismus angefangen. Wie die Musketiere hatten sich Pieter, Joep, Tom und Maarten einst geschworen, immer füreinander einzustehen. Inzwischen hat jeder der gebeutelten Endvierziger seine eigenen Probleme: Pieter (Heiko Grosche) bangt um seine Gemäldesammlung, die ihn zu ruinieren droht. Joep (Bernd Reheuser) setzt für einen Ministerposten alles aufs Spiel. Tom (Carlo Ghirardelli), der koksende, soeben aus der Psychiatrie entlassene Katalogtexter, war mal Staranwalt, und Regisseur Maarten (Peter Tabatt) kompensiert seine männlichen Schwächen durch Theaterprovokationen und Affären mit blutjungen Mädchen. Das Alter naht, die Zeit verrinnt. Die Lebensbilanzen sind ernüchternd. Und Cloaca! der alte Schlachtruf aus Jugendtagen will auch nicht mehr so recht zünden. Das alles ist tragisch. Und sehr komisch. Mit großer Sympathie für ihre Figuren beschreibt die niederländische Autorin Maria Goos das Scheitern der vier Egozentriker. Man trifft sich bei Pieter, dem netten Schwulen mit dem großen Herzen und wundert sich, dass "alles den Bach runtergeht".

Mit Heiko Grosche, Bernd Reheuser, Carlo Ghirardelli und Peter Tabatt steht Regisseur Meinhard Zanger ein brillantes Quartett zur Verfügung. In seiner witzigen Borchert-Theater-Inszenierung lässt er jeder der vier dankbaren Rollen trotz des hohen Tempos der Story genügend Raum zur Entfaltung. Das tragische Ende der Geschichte kommt in seiner bedauerlichen Konsequenz etwas abrupt, und fast schämt man sich, zwei Stunden lang gut unterhalten worden zu sein.
KlenkesTheater pur, Dezember 2010

VIER GESTRANDETE


Von Rolf Finkelmeier

Wolfgang Borchert Theater, Münster
„Alte Freunde“ (Cloaca), Stück von Maria Goos
Regie: Meinhard Zanger
Ausstattung: Elke König
Choreografie: Elke Berges
Dramaturgie: Anna Wallitzer


Vier Freunde, sie nannten sich früher „Cloaca“ und kennen sich aus Teenagerzeiten. Joep (Bernd Reheuser) ist in der Politik gelandet und hofft nun Minister zu werden. Tom (Carlo Ghirardelli) einer der besten Anwälte geworden, aber er hat sich derart oft mit Koks den Geist weggeschossen, daß er zusammengebrochen ist und für zwei Monate in der Psychiatrie war, gesellschaftlich ist er abgestürzt. Maarten (Peter Tabatt) ist Theaterregisseur wilder Inszenierungen geworden. Vor allem ist er berüchtigt dafür, dass immer einer nackt auf der Bühne ist. Und Pieter (Heiko Grosche) verbringt seinen Job im Kulturamt der Stadt. Für ihn beginnt das Stück mit einer Katastrophe. Er hat sich zum Geburtstag, für andere wurde gesammelt und gekauft, immer ein Teil aus dem Geschenkekeller der Stadt gefischt. Pieter hat die Gabe, ein Talent zu erkennen, so nahm er sich jedes Jahr ein Bild eines bestimmten Malers mit. Nun ist dieser gestorben und die Bilder sind im Wert sprunghaft gestiegen. Gerade hat er einen Anruf der Stadt erhalten, mit der Forderung, die Bilder zurückzugeben, als Joep bei ihm aufkreuzt und sich einquartiert. Seine Frau hat ihn beim Fremdgehen erwischt, und er möchte einige Tage bei Pieter unterkommen. Er kann sich einen Skandal nicht erlauben, denn gerade wurde gewählt und er sieht sich schon als Außenminister. Er wäre politisch erledigt. Pieter erzählt ihm sein Problem und Joep schleppt Tom an, der zur Zeit ohne jedes Mandat ist. Und wenig später taucht Maarten auf, um seine alten Freunde zu seiner nächsten Premiere einzuladen. Als man Pieters Problem angeht, stellt sich heraus, daß er gar nicht mehr alle Bilder hat. Zwei hat er verkauft um sich die jetzige Wohnung zu kaufen und zwei weitere, um eine Versicherung für die nun kostbaren Bilder abzuschließen. Joep hat Geburtstag und die drei anderen beschließen, ihm eine russische Prostituierte zu schenken. Doch irgendwie will Joep auf einmal nicht. Nach dem Motto „Bezahlt ist bezahlt“ will nun Maarten die „Nutte“ vernaschen. Die Russin verzieht sich aber stolz und erhobenen Hauptes und die anderen holen Maarten auf den Teppich zurück. Er gesteht, daß er impotent ist. Joep ist nicht Außenminister geworden, sondern nur Kulturstaatssekretär. Er ist in Sachen Bilder nun ein Totalausfall und kann nicht für seinen Freund Pieter intervenieren. Und so erledigt sich auch der gute Wille der anderen, zumal Maartens Premiere ein voller Erfolg war. Selbst Joep war begeistert, obwohl er befürchten mußte seine Tochter nackt auf der Bühne zu sehen. Für Pieter bleibt die Millionen-Forderung der Stadt nun unbeantwortet im Raum stehen. Doch er weiß, was er tun muß. Meinhard Zanger hat diese wunderbare Tragikomödie mit viel Tempo in Szene gesetzt. Aber er läßt auch den besinnlichen Szenen Raum zur Entfaltung. Dies wird ganz deutlich in der Szene mit der Russin, die schon fast melancholisch wirkt. Sabrina vor der Sielhorst beweist nicht nur Mut, weil sie für ein paar Augenblicke mit blankem Busen agiert, sondern weil sie dieser kleinen Rolle richtig viel Charakter verleiht. Ihren russischen Text, der per Einblendung übersetzt wird, hat sie Wort für Wort gelernt und sich von einer Russin übersetzen lassen, so daß aus dem Text auch Sinn wird. Das Stück macht deutlich, daß auch eine ganz alte Freundschaft ab einem gewissen Alter den Zwängen unterliegt, die das Leben schreibt und andere Reaktionen provoziert, als man erwartete. Mit der Choreographin Elke Berges hat Zanger eine Shownummer im Stile der Blues Brothers mit den „alten Freunden“ einstudiert, die auch das Publikum mitreißt. Und seine Darsteller des Herrenquartetts sind einsame Spitze. Hier erweist sich der Theatermann Zanger auch einmal mehr als Mensch, der Kontakte zu Kollegen, die ihn einmal überzeugt haben nie ganz abbrechen läßt. Vielmehr überzeugt er sie davon bei ihm zu spielen. Heiko Grosche als Pieter ist von wunderbarer Naivität. Für ihn ist es ganz normal, daß ihm die Bilder aus dem Keller der Stadt gehören. Mit dieser Einstellung ist er der Gradlinigste des Quartettes. Bernd Reheuser ist als Joep der typisch doppelmoralisch veranlagte Politiker, der nicht fassen kann, daß Frau und Kinder ihn einfach vor die Tür setzen, der andererseits aber nicht ertragen könnte, daß seine Tochter nackt auf der Bühne seines Freundes steht. In jedem Fall wird alles der politischen Karriere untergeordnet. Carlo Ghirardelli als Tom ist in seiner Art einfach unschlagbar. Er kann vom großen Leben nicht lassen und zieht sich auch nach der Therapie eine Straße nach der anderen durch die Nase während ihm Pieter seine Probleme erzählt, als gehöre dies einfach dazu. Peter Tabatt als Maarten gibt den kreativen, unbequemen Regisseur mit dem kleinen (großen) Problem der Impotenz, welches er mittels Bühne zu verarbeiten sucht. Das Quartett ist so toll aufeinander eingespielt, daß das Zuschauen zur wahren Freude wird. Das rettungslos überfüllte Theater war einfach begeistert. Und das zu Recht.
tvefDie Glocke, 6.11.2010

Tragikomischer Verfall einer Freundschaft


Von Andrea Kutzendörfer


Münster (gl). Immer wieder ist dieses markante Zischen zu hören. Breitbeinig sitzen die Protagonisten auf der Couch und öffnen eine Bierdose nach der anderen. Männerfreundschaft eben. In der Tragikomödie von Maria Goos gilt es, männliche Stereotypen zu präsentieren. Und die Jungs trinken reichlich. "Warum ist eigentlich alles so den Bach runtergegangen?", fragt Joep (Bernd Reheuser) und stellt damit eine Frage, die das Stück „Alte Freunde“, das am Donnerstagabend am Borchert-Theater in Münster Premiere feierte, eigentlich gar nicht beantworten will.

Es nimmt sich eher den Folgen der Misere an, in die jeder der vier Endvierziger geraten ist, und beleuchtet den Verfall der einst beschworenen Freundschaft auf eine Art, die mal urkomisch, mal überaus traurig ist. Ein nicht gerade spektakulär neues Thema: Männer, die ihren Anforderungen nicht gerecht werden und mit dem Ergebnis nicht umgehen können. Die Art, wie Meinhard Zanger die Geschichte inszeniert, überzeugt dennoch. Schnell bringt er die Sache auf den Punkt, seziert den Trümmerhaufen: Der Beamte Pieter muß wertvolle Bilder, die er gar nicht mehr alle hat, an die Stadt zurückgeben. Anwalt Tom ist drogenabhängig. Regisseur Maarten ist noch immer nicht der große Durchbruch gelungen, und Politiker Joep ist gerade dabei, seine Familie zu verlieren. Die Bühne ist so karg ausgestattet wie die Beziehung der Männer untereinander. Eine Couch, ein Tisch, ein paar skurrile Kunstwerke – das ist alles. Nur das Bühnen-Entree leuchtet in knalligem Orange, als sei es das Tor in eine bessere Welt. Konfrontiert mit eigenem Ehrgeiz und Selbstbetrug und dem der anderen, ist es vor allem die Darstellung der Hilflosigkeit, mit der die Protagonisten bestechen. Heiko Grosche spielt den etwas naiven Pieter mit seiner unnachahmlichen Mimik ganz wunderbar. Auch Bernd Reheuser gelingt der Wechsel vom arroganten Joep hin zum sentimentalen Familienvater zurück zum egozentrischen Politiker bestens. Niemand der alten Freunde ist bereit, sich für den anderen stark zu machen. Gefühle entwickeln sie nur für sich selbst – erst recht, wenn eine Frau sie dazu bringt. Schauspielerin Sabrina vor der Sielhorst posiert dafür sehr aufreizend. Mitleid für Joep, der in ihren Armen heult, kommt trotzdem nicht auf. Das ist von Autorin Maria Goos auch sicher nicht so gewollt.
Münstersche Zeitung, 6.11.2010

Nackt aus inhaltlichen Gründen


Von Johannes Wallat


MÜNSTER Erfolgreiche Premiere im Wolfgang Borchert Theater: Intendant Meinhard Zanger erntet für seine komödiantische Inszenierung von "Alte Freunde" großen Applaus.

Wenn ein angehender Minister seiner Frau mordlüstern mit einer Tranchiergabel gegenübersteht oder ein Topanwalt in Unterhose durch Barcelona irrt, dann ist da irgendetwas schief gelaufen. Schön, wenn man sich dann auf alte Freunde verlassen kann. Doch was ist, wenn auch die ihr Leben verpfuscht haben und die eigenen Sorgen und Probleme wichtiger sind als die idealistischen Bande der Freundschaft? Maria Goos zeigt in ihrer Tragikomödie „Alte Freunde“, die am Donnerstag am Wolfgang Borchert Theater in Münster in einer Inszenierung von Intendant Meinhard Zanger Premiere feierte, den Zerfall einer Männerfreundschaft, aufgerieben von Ehrgeiz, Egoismus und Eigennutz.
Pieter, der schwule Feingeist (brillant zwischen Verzweiflung und Empörung: Heiko Grosche), muß die Gemälde zurückgeben, die er jahrelang aus dem Stadtarchiv entwendet hat und steht vor dem Ruin. Joep (herrlich selbstgerecht: Bernd Reheuser), der egoistische, ambitionierte Abgeordnete, steckt in einer handfesten Ehekrise, seine berufliche Zukunft als Minister ist unsicher. Tom (wunderbar exzentrisch und durchgedreht: Carlo Ghirardelli), ehemaliger Staranwalt, nun gezeichnet von Kokainsucht, taugt nur noch zum Katalogtexter und ist auf dem besten Wege, rückfällig zu werden.

Schlachtruf "Cloaca"
Nur Maarten (großartig zwischen distanzierter Überheblichkeit und naiver Sorglosigkeit: Peter Tabatt), der lässige Künstlertyp, ist erfolgreich. Er läßt als Theaterregisseur gerne Frauen „aus inhaltlichen Gründen“ nackt über die Bühne laufen. Doch seine Freunde halten ihn für einen Stümper. Als die alten Kumpel nun zusammentreffen, hält die Wiedersehensfreude nicht lange an. Sie wollen einander helfen, reden aber aneinander vorbei. Der einstudierte Tanz zu fetziger Ska-Musik, mit dem die Freunde Joep zum Geburtstag überraschen, und der alte Schlachtruf "Cloaca!" können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das, was einmal war, längst in die Brüche gegangen ist und sich nicht mehr kitten läßt.

Die Geschichte birgt trotz aller Tragik viel komisches Potential – in den tollen Dialogen ebenso wie in den unerwarteten Wendungen. Und das läßt Zanger sein hervorragendes Ensemble voll ausspielen. So gibt es unterwegs viel zu lachen. ALTE FREUNDE wird in der Borchert-Inszenierung fast zur Komödie. Am tragischen Ende aber steht eine ernüchternde Erkenntnis: Wenn es hart auf hart kommt, ist sich jeder selbst der Nächste. Großer Applaus!